Meine Flucht nach Traun
Im Frühjahr 1947 beschlossen meine Eltern, aus unserem Heimatort, Apatin in der Batschka/Jugoslawien, nach Österreich zu fliehen. Wir waren als Angehörige der deutschen Minderheit – Donauschwaben – seit März 1945 in verschiedenen Lagern des TITO-Staates interniert. Viele Nachbarn, meine geliebte Großmutter, Freunde meiner Eltern und Bekannte waren tot: Hunger, an Typhus gestorben, durch Gewalt. Ich war fast 10 Jahre alt und konnte kaum lesen, nicht schreiben und meine Rechenkünste endeten beim Zählen bis 100.
Die FLUCHT über die GRENZE
Nun also Flucht. Ein wegkundiger Führer zur ungarischen-jugoslawischen Grenze wurde gefunden, bezahlt, das Gepäck am Vorabend abgeholt. Uns hatten sich noch zwei Frauen aus unserem Ort, Mutter und Tochter, angeschlossen. Abends, die Lagerwache war im Gasthaus, machten wir uns auf den Weg, trafen unseren Führer. Leider hatte er einen Teil unseres Gepäcks „vergessen“ und er war sturzbetrunken. Er führte uns die ganze Nacht im Kreis. Am Morgen waren wir noch immer in Jugoslawien und mussten uns in einem nicht abgeernteten Maisfeld verstecken. Beinahe wären wir von einer Partisanen- Patrouille entdeckt worden. Einige ungarische Familien waren in unserer Gruppe – etwa 20 Personen. Es war sehr heiß und wir hatten kein Wasser. Am Abend war der Führer plötzlich weg und mein Vater und ein Ungar übernahmen die Suche nach dem Weg über die Grenze. Zum Schrecken meiner Eltern verschwand ich im hohen Gras, lautes Rufen war nicht angebracht. Erst nach einiger Zeit wurde ich wiederentdeckt. Wir gingen die ganze Nacht, erreichten glücklich Ungarn und verbrachten den Tag in einer Weingartenhütte. Hier wurden wir von einem Gewitter überrascht und wurden klitschnass.
Durch UNGARN ins BURGENLAND
Den weiten Weg durch Ungarn gingen wir zu Fuß, hin und wieder nahm mein Vater eine kleine Arbeit an, oder wir verkauften ein Kleidungsstück – wir mussten ja etwas essen. Meine Mutter trauerte bis an ihr Lebensende einem wollenen Umhangtuch nach. Über die österreichisch-ungarische Grenze brachte uns die ungarische Polizei. Im Süd-Burgenland erreichten wir die kleine Ortschaft Luising. Ein Bauer nahm uns auf, wir durften in der Scheune schlafen und meine Eltern halfen bei der Ernte. In Luising waren noch mehrere Flüchtlingsfamilien. Beim Aufbruch sind wir einem Wiener Polizisten in die Arme gelaufen, der gerade einen LKW-Transport nach Wien zusammenstellte und uns befahl, mitzukommen. Wir weigerten uns. Ich höre noch immer seine höhnische Antwort „In Wien sehen wir uns wieder“ – er nahm an, wir würden schon aufgegriffen werden.
Unser Bauer hat uns den Weg zur Zonengrenze beschrieben – das Burgenland war russisch, die Steiermark englisch besetzt. Da wir natürlich keine Papiere hatten, mussten wir die bewachte Grenze illegal überwinden, was auch gelang. Wir marschierten bis Graz und kauften uns Fahrkarten nach Linz mit dem Geld, das wir von unserem Bauern erhalten hatten. In Linz befand sich der Sohn bzw. Bruder der beiden Frauen, die uns begleiteten.
IN OBERÖSTERREICH
In Selzthal wollten wir die Grenze zur US-Zone wieder illegal überschreiten – doch da waren die noch nie gesehenen, unüberwindbar scheinenden, hohen Berge. Also wieder in den Zug. Endstation Spital a.P.: ein Ami holte uns aus dem Waggon und sperrte uns in den Gemeinde-Arrest. Wir mussten den kleinen schmutzigen Raum mit Ratten-Familien teilen. Es war eine sehr unangenehme Nacht. Darauf folgte ein Transport auf offenem LKW: Windischgarsten, Klaus, Kirchdorf und schließlich Steyr. Stunden oder auch nur eine Nacht verbrachten wir im jeweiligen Gemeinde-Gefängnis. In Steyr dauerte es einige Tage. Meine Eltern mussten zuletzt ein „Geständnis“ unterschreiben, dass sie, entgegen der Anordnung der alliierten Militärbehörde, die Zonengrenze illegal überschritten haben. Dann saßen wir in Steyr auf der Straße. Wie sollten wir nun nach Linz kommen? Per Eisenbahn- unmöglich, durch die russische Zone, danke nein, Autobus – auf 6 Wochen ausgebucht. Ich weiß nicht mehr, wie meine Eltern es trotzdem schafften nach Linz zu kommen. Hier fanden wir Aufnahme in einem freien Baracken-Raum, er war voller Wanzen, und lag gegenüber der damaligen Zündholzfabrik Solo. Die Baracken gehörten der Fa. Mayreder & Kraus, bei der mein Vater sofort als Maschinenschlosser Arbeit fand und zwar im Bauhof Traun in der Bahnhofstraße. Allerdings erst nachdem der damalige Chef der Firma, Baurat Dobner, beim damaligen Landeshauptmann Heinrich Gleißner intervenierte. Das Arbeitsamt wollte uns zu Gemüsebauern in das Eferdinger Becken schicken. Einige Wochen später übersiedelten wir nach Traun in eine Baracke auf dem Firmengelände. Endlich durfte ich, gerade zehn Jahre alt, die 1b der Volksschule Traun besuchen – meine Klassenlehrerin war Erna Seier. Sicher hatten viele meiner Generation ähnliche Nachkriegserlebnisse.